Zum Abschluss des ersten Schulhalbjahres widmete sich die gesamte Jahrgangsstufe 10 der Großauheimer Lindenauschule einem der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Im Rahmen des Geschichtsunterrichts stand die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg im Fokus. Die Gesamtorganisation des Projekts lag in den Händen von Annika Werner aus dem Fachbereich 2 der Lindenauschule.
Ein zentraler Bestandteil des Projekts war ein Vorbereitungstag, an dem sich die Schülerinnen und Schüler intensiv mit der Entrechtung und Ermordung von Menschen mit Behinderungen im Dritten Reich befassten. In Klassen- und Gemeinschaftsvorträgen wurden die historischen Hintergründe und Mechanismen der NS-Euthanasie dargelegt und reflektiert. Die zugrunde liegende Ideologie der Eugenik, die bereits vor der NS-Zeit existierte, wurde dabei kritisch betrachtet. Die Rassenlehre propagierte die radikale Vorstellung, dass Menschen mit Einschränkungen als „nicht lebenswert“ und als „Volksschädlinge“ stigmatisiert wurden. Diese menschenverachtenden Theorien bildeten den Nährboden für die systematische Ermordung zahlreicher unschuldiger Menschen während des Zweiten Weltkriegs.
Ein besonderer Höhepunkt des Projekts war die Exkursion zur Gedenkstätte Hadamar in Hessen. Vor Ort setzten sich die Schülerinnen und Schüler in Workshops und Führungen mit den historischen Fakten sowie dem individuellen menschlichen Leid auseinander. Besonders die Biografiearbeit half, die Schicksale einzelner Opfer nachzuvollziehen und sich empathisch in deren Lebensrealität hineinzuversetzen.
Während der Führungen wurde eindringlich geschildert, wie die Opfer in Bussen nach Hadamar transportiert, entrechtet und schließlich ermordet wurden. Trotz Protesten aus Teilen der Bevölkerung und der Kirchen im Jahr 1941 wurde die Tötungspraxis nach einer kurzen Unterbrechung fortgesetzt. In Hadamar fielen etwa 15.000 Menschen der systematischen Ermordung zum Opfer – durch Vergasung, Verhungernlassen, Giftspritzen oder tödliche Medikamentengaben. Nach den Morden erhielten die Angehörigen sogenannte „Trostbriefe“ mit falschen Todesursachen. Viele der verantwortlichen Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger wurden nach dem Krieg kaum juristisch zur Rechenschaft gezogen.
Die Schülerinnen und Schüler der Lindenauschule waren tief betroffen und zeigten großes Interesse sowie Sensibilität im Umgang mit diesem schwierigen Thema. Eine Schülerin brachte die Eindrücke der Exkursion mit bewegenden Worten auf den Punkt: „So etwas darf nie wieder in Deutschland passieren. So etwas darf nie wieder Menschen angetan werden.“
Als „Schule ohne Rassismus“ legt die Lindenauschule in Hanau-Großauheim großen Wert auf eine lebendige Erinnerungskultur und pflegt eine enge Kooperation mit dem Sozialverband VdK. Der Besuch der Gedenkstätte Hadamar ist daher nicht nur ein fester Bestandteil des schulischen Geschichtsunterrichts, sondern auch ein bedeutender Beitrag zur gelebten Erinnerungskultur. Auch in Zukunft soll dieser Projekttag ein fester Bestandteil des Schulprogramms bleiben.
Steffen Schleicher